Weihnachten ist die Zeit der Geschenke. – Manche sagen: Es ist die Zeit des Anhäufens und des Übermaßes. Die Nachwirkungen zeigen sich häufig in Form von übervollen Schränken, Regalen und Kellern; ein Übermaß an lukullischen Genüssen bleibt auf Bauch und Hüfte hängen. Das rechte (=richtige, i.S.v. angemessene) Maß finden, ist das Luxusproblem der heutigen Zeit. Nomadische Kulturen – seien es die der nomadischen Indianer Nordamerikas oder auch jene der Sinti und Roma in Europa – müssen seit jeher mobil und »beweglich« bleiben. Heute würde man es wahrscheinlich mit dem Schlagwort »agil« belegen. Den materiellen Ballast in Form eines vor Gerümpel vollen Kellers kann sich in einer nomadischen Lebensweise niemand leisten. Die Bewegung des Minimalismus ist die moderne Antwort auf die lähmende Über-Fülle an Dingen. Der Minimalismus ist quasi die Gegenbewegung zum Übermaß an Konsum und Gütern, das uns in der westlichen Welt allzeit umgibt. Die Kernfragen des Minimalismus lauten:

  • Was brauche ich wirklich?
  • Wie kann ich mich bzw. meinen Besitz auf das Wesentliche beschränken?

Minimalismus – ein Trend der Neuzeit?

Sprichwörtlich ist die Einfachheit des antiken griechischen Philosophen Diogenes, welcher der Überlieferung nach in einer Tonne hauste.  „Geh mir aus der Sonne“, soll er wohl bei einer Begegnung mit Alexander dem Großen auf die Frage geantwortet haben, welchen Wunsch der Feldherr ihm erfüllen solle. Während Diogenes mit seiner Weisheit in seiner Kultur weitgehend alleine war, haben nomadische Gesellschaften von jeher die Einfachheit gepflegt. Jede Ansammlung von materiellen Gütern – v.a. jenen, die nicht unmittelbar einen Nutzen für das (Über-)Leben bringen – gefährdet das Überleben der Kultur. Jeder unnütze Ballast verlangsamt das Fortkommen und wirkt lähmend. Während sesshafte Kulturen Artefakte sammeln – quasi die geronnenen Erfahrungen der Kultur –konzentrieren sich nomadische Kulturen in erster Linie auf die Einhaltung von Ritualen, zu denen v.a. die Weitergabe von Erfahrungen durch das Geschichtenerzählen (Storytelling) zählt.

Die Etymologie des Wortes Materialismus (»mater« – lateinisch für »Mutter«) verweist auf die Vorstellung einer in der Materie ruhenden, mütterlichen Kraft. In diesem Sinne spiegelt die befriedigende Wirkung beim Zugewinn von materiellen Gütern dieses Verständnis wider. Der Empfänger gewinnt gewissermaßen die sorgende und nährende Kraft, die mit dem Mütterlichen verbunden wird. Auch indigene Kulturen kennen dieses Verständnis von »Mutter Erde«. Doch auch hier kommt es auf das rechte Maß an. In der modernen Zivilisation scheint es vielfach so, als versuchten viele Menschen die eigene Unverbundenheit mit »Mutter Erde« durch die Anhäufung von materiellen Dingen auszugleichen. Artefakte können die Werte und das Erfahrungswissen einer ganzen Kultur in kristallisierter und fokussierter Form in sich tragen – wie ein Diamant. Wer jedoch versucht, die Kohle (aus der in gewisser Weise ein Diamant ja auch besteht) für ein ganzes Leben mit sich herumzuschleppen, wird sich unter der Last unweigerlich biegen müssen. Zudem steht dem Überfluss des Materiellen nicht selten eine – geistige oder emotionale – Armut gegenüber.

Die kurzfristige Befriedigung aus dem materiellen Gewinn verpufft recht schnell: Aus dem »niedlichen« Geschenk oder »coolen Gadget« wird schnell ein bloßer Staubfänger. Wo ein Einzelstück noch »stylish« ist, bleibt durch die Vervielfachung nur noch ein Haufen aus Gerümpel und »Nippes« übrig. Die meisten Menschen, die man während und kurz nach einem Umzug befragt, werden diese Einschätzung bestätigen. Der Schwur „nie wieder …“ hält jedoch häufig auch nicht länger als der gewöhnliche Neujahrsvorsatz.

Woher kommt Minimalismus?

Minimalismus ist »en vogue«. Ob dies nur ein kurzfristiger Hype ist oder vielmehr Ausdruck eines tiefer sitzenden Bedürfnisses, wird nur die Zeit zeigen. Wir glauben, der Wunsch nach Vereinfachung – ob unter dem Namen Minimalismus, Simplify your life oder anderen Bezeichnungen – wird sich in Zukunft eher noch verstärken. Denn der erlebte Alltag wird zunehmend komplexer und schnelllebiger; die vorletzte Ausgabe der Rauchzeichen beschäftigte sich mit VUCA im Business und bezieht sich auf das Phänomen des sich immer schneller drehenden wirtschaftlichen Kontextes.

Ein anderer Begriff für Minimalismus ist »LOVOS«: Lifestyle of Voluntary Simplicity – also ein Lebensstil auf Basis freiwilliger Einfachheit. Die Motive für einen minimalistischen Lebensstil sind dabei unterschiedlich – und keineswegs immer vom Konsumverzicht im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit getrieben. Manche »Minimalisten« besitzen zwar zum Zeitpunkt X wenige Dinge – gleichzeitig jedoch eine gut ausgestattete Kreditkarte, mit der sie sich bei Bedarf einfach neue Dinge kaufen können. Im Frühjahr wird die Daunenjacke entsorgt, um sie jedoch im nächsten Winter erneut zu kaufen. Dies entlastet zwar die »Rumpelkammer« – ist aber höchstens dann sozial oder ökologisch vertretbar, wenn die Jacke eine nützliche »Anschlussverwendung« findet. Die persönliche Freiheit nur Kraft des eigenen Kontos und ungeachtet möglicher negativer externer Effekte zu »erkaufen«, widerspricht hingegen der eher ökologisch-verantwortlichen Haltung vieler anderer Minimalisten.

Wie geht Minimalismus?

Minimalismus ist eigentlich simpel – wenn auch nicht immer leicht konsequent durchzuführen. Die Tipps sind jedoch häufig sehr praxisnah – das macht das Ausprobieren wiederum leicht. Im Internet existiert eine breite Palette an Seiten zum Minimalismus. Hier eine Auswahl an Seiten, die uns inspiriert haben.

  • http://www.einfachbewusst.de/2014/07/weitere-tipps-minimalistischer-leben 25 Tipps für angehende Minimalisten laden zum Ausprobieren ein. Zum Beispiel: einen Tag völlig ohne Elektrizität leben. Häufig werden aus diesem einen Tag zwei oder drei, weil es auch Spaß machen kann, zu erproben, »was geht«.
  • http://www.52wege.de/angst-hält-uns-davon-ab-einfachheit-zu-leben Auf der Seite »52 Wege« finden sich Kurzbeiträge verschiedener Autoren rund um das Thema Minimalismus. Besonders inspirierend finden wir diesen Beitrag von Leo Babauta zum Thema Angst und Minimalismus. Häufig verhindert eine unbegründete Angst, dass wir Dinge loslassen können: “Das könnte man ja nochmal gebrauchen …“
  • http://zenhabits.net/amazing-2015 Die (englische) Seite des Minimalismus-Gurus Leo Babauta. Der vorgestellte Artikel bietet fünf Tipps für ein »unglaubliches« Jahr 2015:
    • Etabliere Gewohnheiten – nicht Ziele oder Vorsätze.
    • Steige voll und ganz darauf ein – mache keine halben Sachen.
    • Konzentriere dich auf wöchentlichen Fortschritt – nicht das große Jahresziel.
    • Finde Mitstreiter – allein ist es schwerer.
    • Sei neugierig und nimm eine lernende Haltung ein – keine Richtig-oder-falsch-Denke.

Fünf Tipps zum minimalistischen Lebensstil, die wir nützlich finden und selber beherzigen:

  1. Kaufe nur etwas Neues, wenn etwas Altes dafür rausfliegt.
  2. Bei Neuanschaffungen: Schlafe eine oder mehrere Nächte darüber und frage dich: „Brauche ich (z.B.) diese Jacke wirklich? Was ist dann für mich erfüllt, wenn ich sie habe und tragen kann? Wenn ich sie nicht kaufe, welche Nachteile entstehen mir dann?“ Manchmal erscheint einem der Kauf- und Besitzwunsch aus der Distanz betrachtet als »Schnapsidee« und man ist froh, diesem inneren Drängen nicht nachgegeben zu haben.
  3. Entsorge alles, was ein Jahr nicht benutzt wurde (Ausnahme: wichtige Dokumente).
  4. Möbel, Kleidung, Bücher oder Gegenstände, die noch gut erhalten sind, nicht einfach wegschmeißen, sondern sinnvoll wieder in den Kreislauf zurückführen. Es gibt genügend Menschen, die bedürftig sind und sich darüber freuen (Altkleider, karitative Einrichtungen etc.)
  5. Bist du dir noch nicht sicher, ob du gewisse Dinge wirklich entsorgen solltest, dann packe sie in eine Kiste und warte ein Jahr. Hast du diese dann nicht getragen oder benutzt: entsorgen!

Wer sich dennoch damit schwer tut, loszulassen, während sich im Keller das Gerümpel stapelt, dem hilft vielleicht der Tipp des Kabarettisten Dieter Nuhr (gefunden auf der Minimalismus-Seite von Alex Rubenbauer): “Lassen Sie Ihren Keller einfach mit Beton volllaufen. Dann haben Sie erstens ein super Fundament und außerdem das Gefühl, es sei alles noch da.“

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