Gerade in einer Zeit des Umbruchs, wie sie die digitale Transformation mit sich bringt, erlebt das Erzählen von Geschichten eine Renaissance. Denn Menschen sind natürliche »Storyteller« und hören auch selbst für ihr Leben gern Geschichten; besonders jene, die Sinn stiften und die Welt begreifbar machen. Doch der Reihe nach. Denn Storytelling ist ein Begriff, der auf sehr unterschiedliche Weise verstanden werden kann.

Was ist Business Storytelling?

  • Für manche bezeichnet Storytelling eine Vortragsweise, wie z. B. jene eines Redners, der seinen Vortrag mit Anekdoten und Geschichten untermalt und damit lebhafter gestaltet.
  • Für andere bezieht sich Storytelling auf die Weise, mit welcher das Marketing seine Produkte präsentiert, um die Kunden emotional anzusprechen.
  • Für wiederum andere ist Storytelling eine Methode, um in der Software-Entwicklung abstrakte Konzepte mit den Augen der Kunden zu sehen.
  • Für die nächsten ist Storytelling vor allem das, was in den Filmen Hollywoods geschieht.
  • Und sicher kann man unter Storytelling auch die Change Story verstehen, die in einem Veränderungsprozess den positiven Wandel beschreiben soll.

Storytelling ist in der DNA des Menschen verwurzelt

Storytelling ist so alt wie die Sprache selbst. Das menschliche Gehirn ist auf Anekdoten getrimmt. Seitdem die ersten menschlichen Wesen sich am Lagerfeuer oder auf der Jagd ausgetauscht haben, ist das Gehirn auf das Erzählen und Entschlüsseln von Geschichten spezialisiert. Manche sehen in dem Erzählen einer Geschichte die Ursache für die Entwicklung der Sprache selbst: „Was ist im anderen Tal passiert?“ Damit ich das vermitteln kann, muss ich eine Sprache haben, die über das reine Zeigen oder auch das Malen von Symbolen hinausgeht. Ich muss unterschiedliche Akteure in Beziehung setzen können. Ich muss deren Handlungen und vor allem auch deren Motive vermitteln können.

Storytelling verbindet Fakten und Emotionen

Denn Storytelling ist mehr als die Vermittlung von Fakten. Vielmehr geht es im Storytelling um das in Beziehung setzen von Fakten und von Akteuren. Mit Storytelling spreche ich immer die Emotionen an. Storytelling ermöglicht es den Zuhörenden, sich einen Sinn zu erschließen. Abstrakte Konzepte werden auf diese Weise nicht nur sinnvoll, sondern auch sinnlich verknüpft.

Marketingspezialisten wissen um die fundamentale Bedeutung von Geschichten. Sie schaffen es, selbst langweilig-spröden Produkten eine emotionale Anmutung zu geben.

In der agilen Software-Entwicklung werden sogenannte »User Stories« genutzt. Diese funktionieren immer nach dem gleichen simplen Prinzip: „Ich als [Nutzer-Typ] möchte [etwas Spezielles tun], um mir damit Folgendes zu ermöglichen: [spezifischer Nutzen]“ Eine User Story ist immer die Einladung zum Dialog. Sie formuliert einen Wunsch bzw. ein Bedürfnis konsequent aus der Perspektive des Nutzers. Neben dem rein kognitiven Perspektivwechsel geht es dabei vor allem um das emotionale Verständnis des dahinter liegenden Bedürfnisses.

Die Change Story als besondere Form des Storytelling

Die Change Story ist kein beliebiges Narrativ, sondern erfüllt einen speziellen Zweck in Veränderungsprozessen. Dabei kann man die Change Story auf zwei unterschiedliche Weisen erzählen. Zum einen kann man in der Change Story den »Sense of Urgency« betonen. Hierbei werden vor allem die Gefahren herausgestellt, die durch das Nichthandeln entstehen können. Beispiele:

  • „Wenn wir jetzt nicht sofort handeln, wird uns der Wettbewerb auffressen.“
  • „Wenn wir die aktuelle Situation verschlafen, werden wir den Anschluss an die Spitze verpassen.“
  • „Wenn wir jetzt kein Kostensparprogramm realisieren, werden wir in Kürze keine Liquidität mehr haben.“

Alternativ oder auch ergänzend kann man den positiven Aspekt von Veränderung betonen: Den »Sense of Opportunity«. Beispiele dazu:

  • „Wenn wir uns jetzt aufmachen, können wir die Möglichkeiten der digitalen Transformation nutzen.“
  • „Wenn wir jetzt die ersten am Markt sind, können wir die größten Gewinne in Indien erzielen.“
  • „Wenn wir jetzt diese Umstellung durchziehen, werden wir Marktführer in dem Bereich werden.“

Wichtig ist, dass die Change Story glaubwürdig ist. Das bedeutet, dass die Führungskräfte und vor allem die obere Führung die Change Story glaubwürdig erzählen müssen. Außerdem darf eine Change Story natürlich nicht jedes Jahr auf andere Weise erzählt werden. Idealerweise sollten alle Veränderungsmaßnahmen im Rahmen der Change Story erzählt werden können – sich also aus dieser ableiten. Alle Maßnahmen müssen in jedem Fall mit dieser kompatibel sein. Führungskräfte kommen in Erklärungsnot und haben ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn die Change Story wechselt. Denn dann wird aus Sicht der Mitarbeitenden nur noch die sprichwörtliche »nächste Sau durch das Dorf getrieben«.

Die Change Story zeichnet ein positives Zukunftsbild

Eine Change Story sollte immer ein – im Vergleich zu den Gegenwartserwartungen – positives Zukunftsbild zeichnen. Das bedeutet keineswegs, dass alles nur durch die »rosarote Brille« betrachtet wird. Vielmehr sollte die Change Story ein Motiv dafür bieten, die vor einem liegenden Herausforderungen angehen zu wollen. Das gelingt, indem die Change Story von einer verheißungsvollen Zukunft erzählt. Die Change Story muss – metaphorisch gesprochen – einen Anreiz dafür schaffen, den Schutz der gemütlichen Berghütte zu verlassen, um draußen durch Wind, Regen und Kälte zu stapfen – so dass am Ende der anvisierte Gipfel bezwungen werden kann.

Die Change Story gibt im besten Fall auch Antwort auf das »Why« bzw. den »Purpose« (den höheren Zweck) einer Unternehmung. Zumindest sollte sie sich auf diesen beziehen und im Einklang mit diesem sein.

Eine gute Change Story beinhaltet neben dem verheißungsvollen Zukunftsbild auch den Weg in Richtung dieser Zukunft. Sie beantwortet die Frage: „Wie wollen wir diesen Gipfel erklimmen? Auf welche Art und Weise, mit welchen Mitteln?“ Häufig wird für diese Beschreibung der Begriff »Mission« verwendet (wobei dieser Terminus ebenso wie ähnliche Begriffe – Vision, Purpose, Leitbild, … – auf sehr vielfältige Weise verwendet wird und sich einer allgemeingültigen Definition versperrt).

Die digitale Transformation erzählt als erfolgreiche Veränderung

Die digitale Transformation erzählt die Geschichte einer Metamorphose. Dabei kann man grob drei Bereiche unterscheiden: Den Verlust, den Übergang, die neuen Chancen.

Transformation als Verlust

Der Verlust kann bedeuten, Abschied zu nehmen, zum Beispiel von alten Gewohnheiten, aber auch von liebgewonnenen Kolleginnen und Kollegen. Man verliert Vertrautheit. Gleichzeitig sieht man sich gezwungen, sich neu zu erfinden.

Management-Guru Peter Senge wird der Satz zugeschrieben:

“People don’t resist change, they resist being changed.”

Der relevante Unterschied liegt also darin, ob ich mich ändern will – oder ändern muss. Wird man aus dem Paradies vertrieben, der eigenen Heimat oder der eigenen Komfortzone der vertrauten Gewohnheiten, so wird man dies negativ bewerten. Bricht man jedoch freiwillig auf zu einem Abenteuer, um einen Schatz zu finden, wird man die gleiche Veränderung positiv bewerten.

Das eigene »Mindset« und das eigene Selbstkonzept, die eigene »berufliche Identität«, spielen hier eine wichtige Rolle. Sehe ich mich eher als Bewahrer oder als Abenteurer?

Transformation als Übergang

In der Phase des Übergangs ist man angeregt, zu lernen und sich auf Neues einzustellen. Der Aufenthalt in der Lernzone kann anstrengend sein, bis sich neue Gewohnheiten etabliert haben. Denn schließlich gelingt Transformation nicht von heute auf morgen. Neue Aufgaben, neue Handlungsweisen, neue Zielsetzungen müssen zunächst verinnerlicht werden. Erst wenn sich eine Art Automation ergeben hat, kann von einer gelungenen Transformation gesprochen werden.

Transformation als Chance

In der Phase der Chancen warten die Erleichterungen – die Verheißungen der Zukunft beginnen erlebbar zu werden. Die digitale Transformation eröffnet Möglichkeiten, sich einzubringen in die Neuausrichtung des Unternehmens. Sie ermöglicht auch, vernetzter arbeiten zu können. Und sie öffnet die Chance auf persönliches Wachstum und individuelle Entwicklung. Bereits zu Beginn des Change Prozesses sollte den Mitarbeitenden klar sein, wofür die Veränderung steht und welchen Nutzen sie von der Transformation haben – so gelangen sie motivierter ans Ziel.

Change Stories für die Transformation eines Unternehmens

Je nach Veränderungsprozess können unterschiedliche Arten von metaphorischen Grundmustern in einer Change Story dienlich sein.

  • Eine Geschichte von Schlachten und Kampf handelt von einem externen Feind, dem man durch innere Geschlossenheit und Teamgeist gegenübersteht.
  • Eine Geschichte von Zusammenhalt – „Wir sitzen alle im gleichen Boot!“ – regt die Menschen dazu an, gemeinsam Verzicht zu üben.
  • Eine Geschichte von Verlust kann zum Beispiel über die Metapher einer gefährlichen Expedition oder die Exploration eines neuen Kontinents erzählt werden. Der mögliche Verlust des einen oder anderen Mitreisenden entlang des Weges »liegt dabei in der Natur der Sache«.
  • Eine Geschichte der Erneuerung und Metamorphose lädt dazu ein, Bekanntes gewissermaßen »verflüssigen« zu lassen, um nach einer Übergangsphase in neuer Gestalt »wiedergeboren« zu werden. Ähnlich der Raupe, die sich verpuppt und sich dort im wahrsten Sinne des Wortes verflüssigt, um anschließend nach erfolgreicher Befreiung aus dem Kokon als Schmetterling in die Luft zu steigen.

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