Eine Welt, die sich gefühlt immer schneller dreht; globalisierte Märkte und Finanzströme, die völlig undurchschaubar sind; Produkt- und Trend-Zyklen, die kaum noch Luft zum Atemholen lassen; Hyperkonsum; immer erreichbar sein, immer online, überall. – OK, Phrasenkanone abgestellt. Aber ganz so falsch ist es doch nicht, oder? Doch wie will man diese „verrückte Welt“ besser beschreiben? – Es gibt einen Bezeichnung dafür: VUCA. Haben Sie Lust, mehr darüber zu erfahren? Und wie die Intuition dem Einzelnen wie auch dem Unternehmen helfen kann, in dieser wild-schäumenden VUCA-Welt Oberwasser zu behalten? In dieser wie auch der folgenden Ausgabe der „Rauchzeichen“ möchten wir Ihnen dazu gedankliche Impulse geben. Wir wünschen viel Vergnügen beim Lesen! Eike Reinhardt & Daniel Goetz

Die Business-Welt wird VUCA

Der Begriff VUCA kommt ursprünglich aus dem amerikanischen Militär und beschreibt dort die Bedingungen des modernen Krieges (asymmetrische Kriegsführung, Selbstmordattentäter, Dschungel- oder Straßenkampf). Die Bedingungen lassen sich nicht mehr mit den klaren Frontlinien vergangener Schlachten vergleichen, in denen zwei große Heere aufeinander trafen. Das Akronym VUCA setzt sich aus den vier Begriffen Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität zusammen.

Kompakt im Video erklärt: Was bedeutet VUCA?

  • Volatilität (volatility) beschreibt die Schwankungsintensität über den zeitlichen Verlauf. Leicht verständlich wird es am Beispiel von Aktienkursen: Innerhalb eines kurzen Zeitraums stark schwankende Aktienkurse zeigen sich als „scharfe Zacken“ im Verlaufs-Chart. Je höher die Volatilität, desto stärker und „zackiger“ die Ausschläge.
  • Unsicherheit (uncertainty) beschreibt in diesem Modell die Unvorhersagbarkeit von Ereignissen. Je mehr „Überraschungen“ der Kontext bereithält, desto unsicherer ist dieser.
  • Komplexität (complexity) wird durch die Anzahl von Einflussfaktoren und deren gegenseitiger Abhängigkeit bzw. Interaktion beeinflusst. Je mehr Interdependenzen ein System enthält, desto komplexer ist es. Der Begriff „komplex“ ist dabei vom Begriff „kompliziert“ zu differenzieren – auch wenn beide oft fälschlicherweise äquivalent benutzt werden. Ein kompliziertes System kann man vereinfachen, ohne die interne Struktur des Systems zu zerstören (Beispiel: ein unübersichtlicher mathematischer Bruch wird durch Kürzen vereinfacht). Ein komplexes System hingegen wird zerstört (bzw. anders ausgedrückt: es wird etwas Neues kreiert), wenn man versucht, dieses zu vereinfachen – z.B. durch Zerlegen. Mehr zum Thema Komplexität stellt auf anregende und unterhaltsame Weise Professor Kruse (Bremen) dar (siehe YouTube-Video).
  • Ambiguität (ambiguity) beschreibt die Mehrdeutigkeit einer Situation oder Information. Selbst wenn viele Informationen vorhanden sind (i.S.v. sicher und vorhersagbar), kann die Bewertung derselben immer noch mehrdeutig sein. „Und was heißt das jetzt?“, ist eine typische Frage in solchen Situationen, selbst wenn eigentlich „alle Fakten auf dem Tisch liegen“. Kommunikationssituationen beinhalten häufig ein hohes Maß an Ambiguität. Zu allem Überfluss ist dies den Beteiligten jedoch vielfach nicht einmal bewusst.

Intuition – die Fitness (=Passung) in einer VUCA-Welt verbessern

Was nun tun, wenn die Welt um einen herum „VUCA wird“? Das Militär geht den Weg der Technologie – und setzt damit auf die Strategien der alten Zeit. Mehr Aufklärung, mehr Überwachung, mehr Drohnen, mehr Roboter, mehr … Das Problem: Das ist nur zu einem hohen (nicht nur) finanziellen Preis zu haben. Teilweise können Unternehmen große Datenbestände mit Hilfe von Big Data / Data Mining–Ansätzen zu erforschen versuchen. Allerdings: Die Datenbestände betreffen häufig nur die Kundenseite (nicht die Wettbewerber, Mitarbeiter, Lieferanten oder anderen Stakeholder); nicht alle Kunden kommen in „Tausenden“ daher (die es für das Data Mining braucht); nicht jedes Unternehmen hat die finanziellen Ressourcen, um diese Art von Buddeln im Datenhaufen zu betreiben. Also – was tun?

VUCA wird zum Thema von Führung und Organisationsentwicklung

Führungskräfte und Unternehmer müssen täglich mehr oder weniger weitreichende Entscheidungen treffen. Doch wie kann ich mich in einer VUCA-Welt entscheiden? „Rationales Entscheiden“ gilt immer noch als der Goldstandard der Entscheidungsfindung. Und es stimmt: die Verdienste und Erfolge dieser Vorgehensweise sind unbestritten. Ein Hoch auf die Ratio. Bedauerlich ist jedoch, dass manche Entscheider immer noch glauben, Entscheidungen würden tatsächlich rein rational gefällt werden können. Erkenntnisse der Hirnforschung zeigen hingegen vielmehr, dass die Ratio vielfach nur ein „Rechtfertigungs-Bereitsteller“ der vorher „vom Bauch“ gefällten Entscheidung ist. Die „Gründe suchende“ Ratio ist in diesem Sinne nur Diener einer intuitiv – und teilweise unbewusst – getroffenen Entscheidung. Zugegeben: auch das ist eine undifferenzierte und überspitzt dargestellt Sichtweise. Wir sind jedoch überzeugt, dass bei Entscheidungssituationen die angemessenste Lösung auftaucht, wenn sowohl Ratio als auch Intuition ihren Platz erhalten und ihnen gleichermaßen Stellenwert zugesprochen wird.

Bei Entscheidungen helfen indische Logik und Intuition

Seit dem 2. Jahrhundert kennt die indische Logik durch Nagarjuna die vier Positionen des Tetralemma, welches das auch im Westen bekannte Dilemma (das Eine oder das Andere) erweitert. Die Grundstruktur des Tetralemma ist einfach:

  • Es gibt eine Option (oder einen Optionsraum) A.
  • Demgegenüber gibt es eine Option B, die mathematisch „nicht-A“ ist – also alles, außer A. Bei Entscheidungssituationen können A und B jedoch auch „nur“ zwei unterschiedliche Alternativen sein. Am Beispiel wird es deutlich: Ich will abends auf ein Konzert gehen, stehe vor dem Kleiderschrank und frage mich: Soll ich das rote Hemd (Option A) oder das blaue Hemd (Option B) anziehen?
  • Die dritte Position ist die Verbindung von A und B. Dies wird häufig als Schnittmenge dargestellt, wobei es jedoch zahlreiche Ausprägungen von „A und B“ geben kann. Im Beispiel: Ich ziehe sowohl das blaue, als auch das rote Hemd an. Oder ich ziehe eines an und nehme das andere mit, um es später am Abend zu wechseln. Oder ich ziehe das rot-blau gestreifte Hemd an.
  • Die vierte Position verneint sowohl A, als auch B. Ich ziehe also weder das blaue, noch das rote Hemd an (oder eine sonstige Kombination daraus). Ich ziehe stattdessen ein weißes T-Shirt oder einen grauen Pullover an – oder nutze ausschließlich Body-Painting ohne weiteres Textil.

Die vier klassischen Positionen wurden ergänzt um eine fünfte Position, die alle vorherigen Positionen verneint – und sich selbst. Wer jetzt einen gedanklichen Knoten im Kopf hat, ist zumindest auf dem richtigen Weg. Diese sich selbst verneinende Position ist über die normale Logik kaum noch zu erfassen, sondern erfordert einen gedanklichen Sprung aus dem gegebenen Rahmen. Am Beispiel des Kleiderschranks wird der praktische Nutzen deutlich: Statt mich endlos mit der Auswahl eines vermeintlich möglichst passenden Kleidungsstücks zu befassen, komme ich zu der Erkenntnis, dass der ganze Zinnober ja lediglich den Sinn hat, später am Abend Spaß auf dem Konzert zu haben. Und daraus folgt die Einsicht, dass ich mich nicht länger mit der Entscheidung über mögliche Oberbekleidung aufhalten und darüber ärgern will. Stattdessen behalte ich an, was ich bereits trage und rufe meine Freunde auf ein Kaltgetränk zum „Vorglühen“ an. Zeit habe ich ja jetzt. – Die fünfte Position erlaubt mir – in diesem Beispiel (!) – die Rückbesinnung darauf, worum es eigentlich geht. In dem Sinne: „Warum stelle ich mir überhaupt diese Frage? Wie kommt es, dass mir das wichtig ist?“. In anderen Kontexten kann dies auch eine kreative Innovation sein – oder die zündende Idee, die eine vertrackte Verhandlung weiterbringt. Die fünfte Position kommt häufig als „Aha!“-Moment daher und zieht eine neue Dynamik an weiteren Fragen hinter sich her. Doch wie komme ich zu dieser begehrten fünften Position? – Hier braucht es einen intuitiven Sprung aus dem bestehenden (logischen) Rahmen heraus; das berühmte „out of the box“-Denken. Doch wie kommt man raus aus der Box?! Durch formale Variation einzelner Parameter (z.B. in einer Tabelle) kann ich auf bisher übersehene Kombinationsmöglichkeiten kommen. Diese Varianten werden dann auf Nützlichkeit hin überprüft. Dieses schematische Vorgehen bleibt jedoch dem mechanisch-analytischen Denkrahmen verhaftet. Die Identifikation der relevanten (!) Parameter, die eine sinnvolle Variation erlauben, erfordert bereits eine intuitive Komponente. Ergo: Ohne Intuition keine 5. Position. Häufig ist die Hinterfragung der Fragestellung eine nützliche „Absprungrampe“, um den bisherigen gedanklichen Rahmen zu verlassen. Das Tetralemma ist zwar einerseits simpel – aber gleichzeitig auch sehr tief und komplex. Daher sind die obigen Ausführungen nicht nur durch die Anzahl der Worte begrenzt, sondern sicher auch durch die vereinfachte Darstellung des Modells. Wer sich ausgiebig und in allen Facetten mit diesem gedanklichen Ansatz beschäftigen will, findet bei Mathias Varga von Kibéd (Logik-Professor an der LMU München) ein schier endloses Meer gedanklichen Tiefgangs (v.a. in seinem Buch „Ganz im Gegenteil“). Gemeinsam mit seiner Frau Insa Sparrer wendet er das Modell des Tetralemma kunstvoll in systemischen Strukturaufstellungen an. Dort sprechen die beiden von den „drei kostbaren Helfern“:

  • Verwirrung
  • Nicht-Wissen
  • Hilflosigkeit

Welchen Nutzen könnte ein Business-Meeting davon haben, zumindest phasenweise die obigen „Helfer“ bewusst einzuladen? Mehr dazu in späteren Rauchzeichen oder direkt an der Quelle unter obigem Link.

Analog vs. digital – welche Sicht auf die Welt erleichtert den Zugang zur Intuition?

Man kann zwei grundsätzliche Muster unterscheiden, wie Menschen die Welt wahrnehmen und bewerten (sog. Metaprogramme): Analog oder digital. Digital bezieht sich hierbei jedoch nicht auf die „digitale Revolution“, die Smartphones, Tablets und digitale soziale Netzwerke hervorgebracht hat. Vielmehr geht es darum, wie der Einzelne (oder auch eine Gesellschaft), die Welt sieht. Die digitale Perspektive fordert: „ZDF: Zahlen, Daten, Fakten!“. Hier muss es klare Antworten auf Fragen geben. Hier wird unterschieden zwischen richtig und falsch. Hier wird optimiert. – Diese Haltung hat viele Vorteile, sowohl im materiellen wie auch im zwischenmenschlichen Bereich – allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen. Die Welt muss bis ins Detail planbar und vorhersagbar sein; die Abläufe müssen bekannt und zuverlässig sein. All dies ist im „realen Leben“ jedoch i.d.R nur kurzfristig möglich. Die analoge Weltsicht akzeptiert hingegen die „Unschärfe“ der Realität und des menschlichen Erlebens. In der analogen Welt darf eine Frage offen bleiben. Metaphern und Storytelling sind hier zuhause. „Man weiß es nicht genau“, ist hier eine erlaubte Aussage. Statt des „einen richtigen Wegs“ will man hier eher „oben auf der Welle surfen“. In der analogen Welt können sich die Dinge ständig ändern – daher ist man auf das kontinuierliche Mikro-Feedback aus der Umwelt angewiesen. Als Surfer oder Snowboarder muss ich mich durch Mikro-Bewegungen ständig an die Unebenheiten des Untergrunds anpassen. Den einen, vorab detailreich optimierten Weg, gibt es nicht. Intuition kann nur in dieser analogen Welt gedeihen. Intuition ist das „Finden einer richtigen Frage. Nicht die Antwort ist die Intuition, sondern die Frage ist die Intuition“ – so sagt es Neurowissenschaftler Professor Ernst Pöppel. In diesem Sinne ist unser Anliegen das Finden der richtigen Frage – statt der Produktion von schnellen Antworten. [info close=“true“]Mehr zur Selbstführung in VUCA-Kontexten finden Sie in unserem Selbstcoaching-Buch für Fach- und Führungskräfte: Selbstführung: Auf dem Pfad des Business-Häuptlings [/info]

VUCA-Wissen Kompakt-Dossier

Verschaffen Sie sich einen Überblick über das Thema VUCA – und wie Sie die damit verbundenen Herausforderungen meistern können. Folgen Sie einfach den vorgeschlagenen Artikeln am Ende jeder Seite. Im folgenden Artikel erfahren Sie mehr über das Konzept des analogen Denkens und dessen Anwendung im VUCA-Kontext.

Rundblick: Was agateno sonst noch macht

SophiaWerkstatt: VUCA im Business

Vom 06.-08. November sind wir Teil der SophiaWerkstatt, die nun bereits zum 10. Mal stattfindet und von der internationalen Organisationsberatung Synnecta durchgeführt wird. Mit einem Workshop zur Intuition beteiligen wir uns an diesem innovativen, dreitägigen Kongress zum Thema „Neues aus OE und Change Management – Antworten auf die Komplexität der VUCA-Welt“. Wir sind selber sehr gespannt auf dieses ungewöhnliche Format und freuen uns auf die spannenden Angebote und Menschen.