Die digitale Transformation ist eine fundamentale Veränderung, die sich nur mit einem ganzheitlichen Modellansatz umfassend verstehen lässt. Die sieben Wesenselemente einer Organisation sowie deren wechselseitiger Zusammenhang lassen sich anhand des Beispiels der digitalen Transformation einer Einkaufsabteilung gut verstehen.

Zukunftsträchtige Unternehmen weisen ein besonderes Mindset auf, das Innovationen fördert. Innovative Unternehmen zeichnen sich durch eine Innovationskultur aus, die den Narren im Unternehmen Raum zur Entfaltung gibt und die Musterunterbrechungen unterstützt. Musterunterbrechungen fördern Innovationen. Auch das agile Arbeiten erfordert ein völlig neues Vorgehen. Denn gegenüber der traditionellen Herangehensweise ist beispielsweise das iterative Vorgehen der agilen Methode Scrum mit »Retros« und »Reviews« eine deutliche Musterunterbrechung. Darüber hinaus benötigt Selbstorganisation – sei es beim agilen Arbeiten oder auch ohne das spezifisch iterative Element – eine neue Beziehungskultur. D.h. es braucht neue Muster in der Beziehungsgestaltung. Last but not least spielen Musterunterbrechungen auch eine große Rolle beim Megathema: digitale Transformation. Dazu mehr in diesem Blogbeitrag. Beim Stichwort Innovationen denkt man häufig daran, »etwas« zu erfinden. Die digitale Transformation ist jedoch ein gutes Beispiel dafür, dass man auch »sich selbst neu erfinden« muss, um Schritt halten zu können und noch in die Zeit zu passen.

Transformation bedeutet mehr als nur Change

Der klassische »Change« beschreibt in der Regel eine lineare Veränderung von einem Ausgangszustand zu einem anvisierten Zielzustand. Bei einer echten »Transformation« hingegen weiß man vom Ausgangszustand aus betrachtet noch gar nicht so richtig, in welchem Zielzustand man landen wird. Das liegt daran, dass die Transformation hochkomplex ist und durch zahlreiche unvorhersehbare Parameter beeinflusst wird – Stichwort »VUCA-Bedingungen«.

Für diese umfassende Betrachtung der Transformation ist es nützlich, ein Modell zu haben. Wir verwenden dazu das »Systemkonzept« nach Trigon (Professor Glasl). Es beinhaltet die sieben Wesenselemente einer Organisation. Es ist sinnvoll, alle sieben Wesenselemente zu beobachten und zu analysieren, ob und inwiefern sie sich im Rahmen der Transformation verändern.

Die sieben Wesenselemente einer Organisation

Hier ein erster Überblick über den Charakter der sieben Wesenselemente einer Organisation:

 

 

1. Identität (hierzu zählen auch Konzepte wie Vision, Mission, Leitbild, Purpose der Organisation): Was ist unser fundamentales Selbstverständnis als Organisation? Was ist unser Beitrag für die Gesellschaft oder (etwas profaner) das Wirtschaftssystem, in dem wir tätig sind?

2. Strategie (auch Unternehmenspolitik): Wie lautet unser Businessmodell? Welche Prinzipien oder Grundregeln sollen uns beim Wirtschaften leiten?

Diese beiden Wesenselemente lassen sich als der Kopf der Organisation beschreiben (bzw. als »kulturelles Subsystem« in der Taxonomie von Glasl).

3. Strukturen: Hierzu zählen die Aufbaustruktur (das Organigramm), das Layout der Organisation sowie die Gestaltung der Führungshierarchie.

4. Funktionen: Wie sind die Aufgaben in Einzelfunktionen und Organe aufgeteilt?

5. Menschen: Wie lässt sich das Klima im Unternehmen beschreiben? Wie der Führungsstil? Wie ist das Mindset (Grundhaltung, Einstellung) der Mitarbeitenden? Wie wird mit Ambivalenzen (u. a. Konflikten und Diversität) umgegangen?

Diese drei Wesenselemente lassen sich als das Herz der Organisation beschreiben (»soziales Subsystem« in der Taxonomie von Glasl).

6. Prozesse: Wie sind die Arbeitsabläufe im Unternehmen gestaltet? Wie (transparent) wird informiert? Wer wird wann einbezogen? Wie werden Meetings gestaltet?

7. Physische Mittel: Wie (modern) ist die Infrastruktur im Unternehmen? Wie die Ausstattung mit Hard- und Software? Wie viele Standorte existieren und wie sind diese regional verteilt? Wie sind die Arbeitsplätze (Großraum- vs. Einzelbüros vs. Home Office) gestaltet?

Diese beiden Wesenselemente lassen sich als die Hand der Organisation beschreiben (»technisch-instrumentelles Subsystem« in der Taxonomie von Glasl)

Identität, Struktur und physische Mittel lassen sich als die stabilisierenden (und langfristig eher konstanten) Aspekte des Systems beschreiben, während Strategie, Funktionen und Prozesse demgegenüber eher kurzfristig und dynamisierend für das System der Organisation wirken. Es wird schnell deutlich, dass die verschiedenen Elemente interdependent sind – also wechselseitig voneinander abhängig: Verändere ich ein Element, so verändern sich auch andere Elemente des Systems direkt mit. Es geht also um die bewusste Analyse und Veränderung des gesamten Systems der Organisation. Eine isolierte Veränderung eines einzelnen Wesenselements ist nicht möglich. In der Businesspraxis wird jedoch leider häufig so getan, als könne man nur ein einzelnes Element verändern, ohne die übrigen anzutasten oder zu berücksichtigen.

Der praktische Nutzen des Systemkonzepts

Ein Modell wie dieses ist nicht dazu gedacht, einfache Antworten zu liefern. Vielmehr hilft es Entscheidern dabei, kluge Fragen zu stellen. Denn die richtigen, weil wichtigen Fragen sind häufig viel relevanter für den Erfolg eines Unternehmens als die schnellen Antworten. Daher ist auch die Frage „Was ist die beste Konstellation der sieben Wesenselemente?“ ohne Berücksichtigung eines konkreten Kontextes sinnlos.

Es wird klar, dass es auf diese Frage nicht die eine „objektive“ Antwort geben kann – sondern nur eine höchst individuelle und spezifisch auf das Unternehmen bezogene, temporäre Antwort. Daher müsste eine nützlicher formulierte Frage lauten: „Welche Konstellation ist für uns in der jetzigen Situation – vor dem Hintergrund unserer Historie und unserer daraus erwachsenen Ressourcen sowie mit klarer Ausrichtung auf unsere gewünschte Zukunft – angemessen und nutzenstiftend?“

Die digitale Transformation einer Einkaufsabteilung analysiert mit dem Modell der sieben Wesenselemente

Anhand eines Beispiels lässt sich das Modell der sieben Wesenselemente verstehen: Stellen wir uns dazu eine Einkaufsabteilung eines großen Industrieunternehmens vor, die durch eine digitale Transformation geht. Der Kosten- und Effizienzdruck auf die Einkaufsabteilungen steigt. Gleichzeitig wachsen die Möglichkeiten durch die digitale Transformation. Big Data, künstliche Intelligenz und Plattformökonomie sind nur einige der Schlagworte, die in diesem Zusammenhang fallen. Doch schon heute haben diese Schlagworte einen ganz konkreten Einfluss auf den Arbeitskontext und die Arbeitsgestaltung der Menschen.

Wie die Plattformökonomie den Einkauf verändert

Doch was sind die Auswirkungen einer konsequent durchdachten Plattformökonomie? Die Preisgestaltung wird zunehmend transparenter. Die Wertschöpfungsketten werden zunehmend integrierter – und bilden sich zu Wertschöpfungsnetzwerken aus. Die Kostenstruktur der Lieferanten, aber auch jene der Produzenten werden immer öffentlicher. Das »Pokerface« bei der Einkaufsverhandlung wird überflüssig, da jeder sein Blatt ohnehin offen auf den Tisch legt. Die Regeln des Spiels ändern sich fundamental. Vielleicht stellt man sogar fest, dass man ein neues Spiel erfinden muss, um weiterhin im Spiel bleiben zu können. Und dieser Punkt ist äußerst wichtig zu beachten: Es geht nicht nur um eine reine Digitalisierung der bestehenden Prozesse. Vielmehr gilt es, die Möglichkeiten der Digitalisierung voll auszuschöpfen. Und dies geht häufig mit einer Anpassung der Geschäftsmodelle einher.
Es sind also keineswegs nur die »Prozesse«, die angepasst werden müssen – auch wenn dies natürlich auf den ersten Blick die auffälligsten Veränderungen sind. Vielmehr ziehen die Veränderungen der Prozesse häufig auch Veränderungen der Hard- und Software nach sich (»physische Mittel«): Daten werden automatisiert aggregiert, analysiert und ausgegeben, so dass sich die Mitarbeitenden schnell einen Überblick verschaffen können. Das verändert die Entscheidungswege und auch die Art und Weise, wie sich die Menschen in der Abteilung abstimmen und zusammenarbeiten.
Doch das sind nur die offensichtlichen Veränderungen. Die veränderte Arbeitsweise kann Veränderungen im Zuschnitt der Einkaufsabteilung sinnvoll machen (z. B. Abbau von Silos – oder umgekehrt auch Aufbau von spezialisierten Unterabteilungen). Neben den »Funktionen« können davon auch Veränderungen der »Struktur« (Organigramm) betroffen sein. Es ist sogar möglich, dass die »Strategie« des Einkaufs angepasst werden muss, da Wertschöpfung nun auf andere Weise – nicht mehr durch »hartes Verhandeln« – geschieht.

Eine Transformation berührt das Selbstverständnis der Mitarbeitenden

Die fundamentalste Änderung betrifft jedoch die Menschen selbst – und zwar ihr »Selbstverständnis«, also ihre berufliche »Identität« als Einkäufer. Das Selbstverständnis als Einkäufer verändert sich nämlich durch die digitale Transformation. Wo der Einkäufer früher dafür bekannt war, gute Ergebnisse dadurch zu erzielen, auch in harten Verhandlungen ein Pokerface zu behalten, wird zukünftig durch die Plattformökonomien der beste Preis transparent und automatisch ausgehandelt. Der Mensch als Verhandler im engeren Sinne wird nicht mehr benötigt. Der Einkäufer muss seine Rolle und seine Funktion in diesem System also neu definieren. Zukünftig wird der Einkäufer vor allem als Problemlöser und Beziehungsmanager benötigt. Der Mensch wird vor allem dann gefordert sein, wenn Probleme mit dem Lieferanten bzw. dessen Produkten auftauchen. Dies erfordert völlig neue Kompetenzen bei den Einkäufern; andere Werte werden relevant für die Arbeit.
Kurzum: das Selbstbild des Einkäufers wandelt sich fundamental. Für den einzelnen Mitarbeiter und die einzelne Mitarbeiterin bedeutet dies, sich völlig neu erfinden zu müssen. Alte Kompetenzen und Patentrezepte funktionieren nicht mehr. Bisherige Werte müssen sich wandeln. Dem und der Einzelnen kann dies jedoch nur gelingen, wenn auch in dem Unternehmen selbst diese Werte gelebt werden. Sinnvollerweise ergeben sich durch die hier skizzierte digitale Transformation auch Auswirkungen auf die Kultur (und die »Menschen« in der Taxonomie des Systemkonzepts) des Unternehmens.

Die Gewinner dieser Transformation sind diejenigen, die sich an die neue Situation am schnellsten anpassen können. Wer seine (berufliche) Identität hier nicht als monolithisch, sondern als fluide begreift, hat die Vorteile auf seiner Hand. Auf dieses »fluide Selbst« werden wir in einem der kommenden Blogbeiträge näher eingehen. Hier werden wir auch Parallelen zum Konzept des »Transhumanismus« aufzeigen.

Die neurologischen Grundbedürfnisse des Menschen müssen in der Transformation geschützt werden

Die Führungskräfte sind in einer Transformation gefordert, nicht nur Vorbilder für die Transformation zu sein. Zudem muss die Führung die neurobiologischen Grundbedürfnisse der Menschen schützen und befriedigen. Das menschliche Bedürfnis nach Sicherheit und Gewissheit wird in der Transformation auf die Probe gestellt. Die Führung kann durch die Betonung und Förderung von »Verbundenheit« der Verunsicherung der Mannschaft entgegenwirken. Vor allem, wenn der wahrgenommene Status oder »Selbstwert« von Mitarbeitern – z. B. durch veränderte Rollen – in Gefahr ist, braucht es Fingerspitzengefühl seitens der Führung. Besonders in Zeiten von Transformationsprozessen ist es wichtig, Mitarbeitende aktiv mit einzubinden (Bedürfnis nach »Selbstwirksamkeit«). 

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